Freitag, 14. Oktober 2011

Die Anfänge

Für den Pfarrer der Universitätskirche, Bryan Milfort, war es eine Selbstver­ständlichkeit, den deutschen Lutheranern die Gottesdiensträume zur Verfügung zu stellen. Die Hilfe und Aufnahme durch englische Christen war überhaupt für die Gründung der Gemeinde von grosser Bedeutung. Die meisten ihrer ersten Mitglieder waren Nazi-Vertriebene, "nichtarische Christen" (Christen jüdischer Abstammung) und Leute aus der Bekennenden Kirche. Ihre Situation war in Deutschland ver­zweifelt: Wegen ihrer jüdischen Abstammung oder ihres entschiedenen Bekenntnisses verfolgt und bedroht, machten sie die Erfahrung, zwischen sämtlichen Stühlen zu sitzen.
Ein Beispiel ist Else Joseph, evangelische Tochter eines jüdischen Tierarztes.
Als sie Berlin verlassen wollte, wandte sie sich zunächst an die evangelischen Behörden. Dort wurde ihr gesagt: "Sie sind Jüdin. Sie müssen zum jüdischen Hilfsverband gehen." Beim jüdischen Hilfsverband wurde sie als Christin auch abgewiesen. Schliesslich lernte sie eine Quäkerin kennen, die ihr aus Deutschland heraushalf.
Über direkte persönliche Kontakte lief auch die Auswanderung bei H. Calé. Er war nach dem Judenprogrom im November 1938 verhaftet und ins KZ Sachsenhausen bei Oranienburg gebracht worden. Eine Entlassung war nur bei einer schriftlichen Zusicherung möglich, dass er auswandern würde. Ein Londoner Geschäftsfreund seines Vaters übernahm schliesslich für ihn eine Garantie, und das machte ihm die Einreise nach England möglich.
Sehr schwierig war es für diejenigen "nichtarischen Christen", die über keine ausländischen Kontakte verfügten. Ohne finanzielle Bürgschaft war eine Einwanderung nach Grossbritannien ausgeschlossen.
Doch es gab in England immer wieder Stimmen, die versuchten, auf die Situation der in Deutschland Verfolgten aufmerksam zu machen und Beziehungen herzustellen. Für die "nichtarischen Christen" spielte G. Bell, Bischof von Chichester, eine ganz wichtige Rolle. Am 27. Juli 1938 nahm er in seiner ersten Rede im britischen Oberhaus zum Flüchtlingsproblem Stellung:
I wish to avoid rhetorital language in speaking of the actual facts and the overriding cause of the German refugee problem, but it is necessary to call attention to the basic element, namely, the figment of an Aryan race. The word 'Aryan' has some relation to language, but has no relation to biology, and it is a poor fantasy for which there is no scientific justification whatever. But the result of this fantasy is that those who are called non-Aryan, especially those of the Jewish race, cannot be counted as Germans, cannot be members of the German state, and must be deprived of every part in the German state and in many cases expelled ...
It is, however, important to notice that the question is not only a Jewish question. There are and will be religious and political refugees, and in particular I wish to emphasize the importance of what are called the non-Aryan Christians - that is to say, the Christians who, according to this racial theory, lack German blood ...
The non-Aryan Christians are worse sufferers than the Jews. While the Jews have the great Jewish Community behind them, the non-Aryan Christians are neither German nor Jews, from this point of view, and their claims on their fellow-Christians throughout the world have not, I am sorry to say, been brought home in the way they should have been brought home to the Christian Churches... .(cf. Hansard, The Parlamentary Debates, Fifth Series, Vol. CX, House of Lords, Official Report FourthVolume of Session 1937-1938, London 1938, S.1206, 1207:27 July 1938)
Für die Entstehung der Oxforder Gemeinde war jedoch die Initiative von Dr. Nathaniel Micklem, Principal des traditionsreichen Mansfield College, noch wichtiger. Micklem hatte sich schon im Ersten Weltkrieg darum bemüht, dass in den Gefangenen­lagern deutsche Gottesdienste für die evangelischen Kriegsgefangenen eingerichtet wurden. Er verfolgte mit grosser Aufmerksamkeit den deutschen Kirchenkampf seit 1933 und sammelte die darauf bezüglichen Schriften und Dokumente. Was sich in Deutschland ereignete, sah er als Symptom der Erschütterung der christlichen Tradition an, das sich, obgleich langsamer, auch in anderen Ländern ausbreitete. Er wollte daher, dass die Theologiestudenten seines Colleges mit einem jungen Pfarrer der Bekennenden Kirche persönlich Kontakt hätten.
Im Frühjahr 1938 besuchte Micklem Deutschland, im Anschluss an diese Reise rief er im 'College Magazine' zur Unterstützung der verfolgten Pfarrer auf:
I might add that, since the Confessional Church in Prussia has been declared illegal and its theological schools have been closed, those whom it ordains are not recogniced and can draw no salaries; collections in Church for the ministers salaries are forbidden, and an increasing number of young ministers are trying to live on a precarious sixty or seventy pounds or so a year. I can hardly exaggerate to you the difficulties of the Church. (Nathaniel Micklem, To the Brethren of the Dispersion, in: Mansfield College Magazine No. 113, July 1938) 
In besonders engen Kontakt war Micklem vor allem mit einem jungen Berliner Pfarrer getreten, dem aus Pommern gebürtigen Hans-Werner Kramm. Dieser wurde bald darauf im Auftrag Micklems von dem Chaplain des Mansfield College, Dr. John Marsh, ein­geladen, in Oxford seine Doktorarbeit zu schreiben. Kramm war - wie auch Joachim Kanitz, der später gleichfalls in der Oxforder Gemeinde wirkte - aus jenem studentischen 'Bonhoeffer-Kreis' hervorgegangen, der sich seit 1932 in Berlin gebildet hatte: Unter D. Bonhoeffer, damals Assistent am Systematischen Seminar, war eine Bruderschaft junger Theologen entstanden. (cf. E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer.Theologe.Christ. Zeitgenosse, München 1967)
Auch nach seiner Ordinierung 1933 war diese Verbindung für Kramm wichtig: Unter der Anleitung des Bruderrates stellte er Kontakte her zwischen der Bekennenden Kirche und der schwedischen Kirche. In dieser Position war er in exponierter Stellung und daher besonders gefährdet. Als Micklem ihn traf, war er nervlich angeschlagen und in schlechtem Gesundsheitszustand. Da er eine potentielle Führungspersönlichkeit in der Kirche und ein guter Wissenschaftler war, befürwortete auch der Bruderrat eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung nachdrücklich.
Im Herbst 1938 nahm Kramm die Arbeit an seiner Dissertation über 'The conception of Church Order and Ministry in Luther and the early Lutheran Church considered in the light of Non-Roman Christianity in Scandinavia, Germany, and the British Isles' am Mansfield College auf. Diese Arbeit ist dort heute noch einsehbar, wobei leider die interessantesten Passagen, in denen Kramm zu den Geschehnissen in Deutschland Stellung nimmt, fehlen.
Als nach der Reichskristallnacht im November 1938 viele weitere nichtarische Flüchtlinge nach Oxford und überhaupt nach England kamen, bemühte man sich im Mansfield College, ihnen bei den Schwierigkeiten des Einlebens zu helfen. Dr. Micklem war es klar, dass für die evangelischen Nichtarier Gottesdienste in der Muttersprache wesentlich waren, und er stellte dafür Pastor Kramm die Mansfield College Chapel zur Verfügung, kam auch meist selbst zu den 14-tägigen Gottesdiensten. Zum ersten im Februar 1939 kamen acht Personen, zum nächsten schon zwanzig. Die Orgel spielte regelmässig, wie auch sonst für sein College, der senior student, der spätere Professor Eric Routley, mit grossem Verständnis für deutsche Kirchen­musik. Er bewohnte das Turmzimmer im College, wohin er die Gemeinde nach den Gottesdiensten einlud: "Nothing in this country without a cup of tea."
Im Herbst 1939 fanden die deutschen evangelischen Gottesdienste in der Oxforder Universitätskirche St. Mary the Virgin statt - der erste am 3. September, am Tage des Kriegsbeginns. Der Predigttext für diesen Tag war: "Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein." Im Anschluss daran hielt Pastor Kramm eine offizielle Dankrede. Marianne von Kahler, die damals beim Pfarrer der Universitätskirche, Dick Milford, wohnte, erinnert sich daran mit einem Schmunzeln: "Diese formelle Danksagung war eine typisch deutsche Idee. Der englische Pfarrer, Mr. Milford, dagegen sah alles etwas gelassener und fragte mich: "Do you think I shall better go and do some smiling?"
Doch im Evensong, der etwas später am Abend stattfand und den einige Glieder der Gemeinde besuchten, sagte Mr. Milford seiner Gemeinde, sie seien froh und dankbar, dass sie der deutschen evangelischen Gemeinde für die Dauer des Krieges Gast­freundschaft gewähren könnten, denn darin zeige sich, dass die Christen durch den Glauben an ihren Herrn verbunden blieben, auch wenn die Völker durch den Krieg getrennt seien.
St. Mary's hat sich treulich bemüht, dies Wort in der Kriegs- und Nachkriegszeit in die Tat umzusetzen. Auch die anderen Kirchen in Oxford waren stets bemüht, der Gemeinde behilflich zu sein. Dr. Moore, Fellow von St. John's College, nahm Pastor Kramm zu einem sehr bescheidenen Pensionspreis in sein Haus. Seine Frau liess es sich nicht verdriessen, wenn rat- und trostbedürftige Gemeindeglieder zu allen Tageszeiten ins Haus kamen, obwohl sie mit drei kleinen Kindern sehr beschäftigt war.
Es gab überhaupt viel zu raten und zu trösten. Wenn die spärlichen Briefe des Roten Kreuzes ausblieben, wusste man oft nicht, ob die Angehörigen in der alten Heimat verschleppt, ausgebombt oder gefallen waren. Dazu kam vielfach materielle Bedrängnis, denn erst nachdem die Kriegswirtschaft in Gang gekommen war, wurde auch die Arbeitskraft aller Refugees gebraucht.

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