Freitag, 14. Oktober 2011

In der Tradition der Bekennenden Kirche

Nach dem Brand waren das Kirchenschiff und die Old Library bald wieder benutzbar, der Chor wurde durch eine Asbestwand vom Schiff abgetrennt. So konnte die Gemeinde mit den P.O.W.s bis zum 12. Januar 1947 eine Advents- und Weihnachtsfeier nach der anderen halten. Am 15. Dezember 1946 kam Pastor Eberhard Bethge, der Freund Bonhoeffers, zur Gemeinde. Der Gesang von 150 Kriegsgefangenen sprengte fast die Decke der Old Library. Pastor Bethge sagte etwas wehmütig: "Wenn man in Berlin doch auch so viele Männer in der Kirche hätte!"
Erstaunlich war es, dass für vier Feiern Weihnachtsgebäck hersgestellt werden konnte, denn seit Kriegsende (und dem Ende von "land and lease" aus USA) waren auch Brot und Mehl rationiert. Ausserdem bemühte sich die Gemeinde, kleine Lebensmittelpakete nach Deutschland zu schicken, wurde dabei auch grosszügig von englischen Freunden unterstützt, die beispielsweise mit Brot-, Fett- und Zuckermarken aushalfen. Im Herbst 1947 entschoss sich Pastor Kramm, ganz nach London zu gehen und dort neben der St. Marienkirche auch die Hamburger Lutherische Kirche zu übernehmen, die bis dahin von einem alten methodistischen Pfarrer versehen worden war.
Bei Kramms letztem Gottesdienst als Pfarrer der Oxforder Gemeinde am 19. Oktober war als Gast Pastor Kurtz von der Zwölfapostel-Kirche Berlin anwesend, der ein Jahr später in Oxford Pfarrer werden sollte. Bis dahin musste sich die Gemeinde durchschlagen, so gut es ging. Konnte keiner der in den deutschsprachigen Gemeinden amtierenden Pfarrer den Gottesdienst übernehmen, so gelang es meist, einen der kriegsgefangenen Pfarrer dafür zu bekommen. Dieser erschien dann schon am Vormittag mit einem ganzen Lastauto voll P.O.W.s, denen die Gemeindeglieder die Colleges zeigten und mittags in der Old Library zu ihrer Verpflegung Tee machten. Später, nach dem Gottesdienst, musste es Kaffee sein, zu dem Pastor Bengt Noack (später Theologieprofessor in Kopenhagen, damals mit einem theologischem Stipendium) den Extrakt in Flaschen im Rucksack herbeischleppte. Die Gasflamme in der Old Library produzierte kochendes Wasser nur sehr langsam. Und wenn es einmal mit den P.O.W.s nicht klappte, sprang immer Pastor Noack ein: "Wenn ich es bis Freitag weiss, mache ich Ihnen bis Sonntag eine Predigt!" Auch Lothar Schreiner, der erste deutsche theologische Nachkriegsstudent im Mansfield College, predigte gelegentlich. Im Sommer, am 11. Juli 1948, wurde der Gemeinde sogar der Gemeindetag zugemutet. Die zahlreichen Gäste wurden in Springfield St. Mary's und privat untergebracht. Obwohl einige Gemeindeglieder hinsichtlich der Organisation etwas besorgt waren, verlief der Gemeindetag erfreulich. Grossen Eindruck machte die warmherzige Art von Pastor Oostergreen vom Lutheran Council of Great Britain, der sich auch für die finanziellen Probleme der Gemeinde interessierte, da ein Zuschuss vom Kaiser-Wilhelm-Fond für ein zukünftiges bescheidenes Pfarrer-Gehalt nichts ausreichte. Nach der einjährigen Vakanz trafen im Herbst 1948 endlich Adolf und Eva Kurtz ein. Domherr Kurtz hatte die Gemeinde zuerst im Winter 1938/39, nach der Reichskristallnacht, besucht, kannte auch Pastor Kramm von der Bekennenden Kirche her gut. Die Familie hatte schwere Zeiten durchmachen müssen.
Der in Berlin geborene Adolf Kurtz war 1920 ordiniert worden und später Pfarrer der Zwölfapostel-Kirche in Berlin geworden. Von Anfang an war Pastor Kurtz ein entschiedener Gegner der Nazis gewesen und hatte eng mit Martin Niemöller zusammengearbeitet. Im November 1934 organisierte er ein Massentreffen von ca. 20.000 Christen in Berlin. Als dieses vom Polizeichef Heydrich verboten wurde, arrangierte Kurtz ein Treffen mit Hermann Goering. "Goering war angezogen wie Falstaff in den 'Glücklichen Weibern von Windsor', mit Schwert, grünen Reithosen und grünen Reiter­stiefeln", erinnerte sich Kurtz später lachend. Aber es gelang ihm, Goering zu überzeugen, das Treffen zu erlauben.
Als Niemöller 1938 ins Konzentrationslager gebracht wurde, führte Pastor Kurtz den Kirchenkampf in Berlin fort. Er war einer der Gründer der Bekennenden Kirche. Verheiratet mit einer nichtarischen Frau, baute er eine Schule für judenchristliche Kinder auf. "1940 war das schlimmste Jahr", fasste er seine Erfahrungen später zusammen, "denn damals kam ein Anwachsen der rassischen Verfolgung." Viele Male wurde er von der Gestapo befragt und verhaftet, und 1942 wurde er zu einem Gespräch mit Eichmann zitiert, der die Schliessung seiner Schule veranlasste.

Gegen Ende des Krieges wurden die Verfolgungsmassnahmen für die Familie Kurtz immer schlimmer. Eva Kurtz zog es vor, immer bei anderen Freundinnen zu übernachten, damit ihre Kinder ehrlich sagen konnten: "Wir haben keine Ahnung, wo unsere Mutter ist."
Nach dem ersten Schrecken der Eroberung Berlins und infolge der Wirren der ersten Nachkriegsjähre entschlossen sich Sohn und Tochter von Adolf und Eva Kurtz, nach Rio de Janeiro auszuwandern. Im gleichen Jahr, 1948, nahmen die Eltern die Pfarr­stelle in Oxford an. Da dies dasselbe Jahr der Blockade Berlins war, mögen die Eltern auch befürchtet haben, von den Kindern ganz abgeschnitten zu werden. Domherr Kurtz machte sich, in jeder Beziehung von seiner Erau unterstützt, alsbald mit grossem Eifer an den Aufbau der Gemeindearbeit, und zwar nicht nur in Oxford, sondern auch in Birmingham und in Westcott bei Aylesbury.
In Birmingham war während des Krieges eine deutschsprachige Gemeinde gewesen, ge­leitet von dem lutherischen österreichischen Pfarrer Deutschhausen, bis dieser nach Kanada weiterwanderte. 1949 nahm Pastor Kurtz die Gemeindearbeit dort wieder auf und hielt im Januar den ersten der fortan monatlichen Gottesdienste in einer angli­kanischen Gemeinde in Edgbaston.
Schon Pastor Kramm hatte kurz vor seinem Abschied aus Oxford die deutschen Wissen­schaftler besucht, die, von der englischen Regierung engagiert, nach Westcott ge­kommen waren. Aber erst Pastor Kurtz konnte die Arbeit dort aufnehmen, d.h. einmal im Monat hielt er Gottesdienst in Verbindung mit Kindergottesdienst, wobei möglichst am Vorabend Bibelstunde gehalten wurde, entsprechend der Arbeit in Birmingham.
Da die Wissenschaftler damals wenig Kontakt über Westcott hinaus hatten, waren sie sehr dankbar für die Verbindung mit der übrigen Welt, die Pastor Kurtz ihnen brachte, ebenso für den deutschen Religionsunterricht.
In Oxford begann Pastor Kurtz im November 1948 in dem zentral gelegenen Kapellraum
des Y.M.C.A. in der George Street mit den wöchentlichen Bibelstunden, die gut be
sucht waren. Nach den Erschütterungen der letzten Jahre waren die Herzen offen für das, was Gottes Wort zu sagen hatte. Auch wollte die Gemeinde gerne möglichst viel über die Erlebnisse der Kirche in Deutschland im Krieg und während der ersten Nachkriegsjahre erfahren.
Pastor Kurtz fing seine Bibelstunde mit einem Bericht über die Weltkirchenkonferenz in Amsterdam an, an der er teilgenommen hatte. Dann besprach er das Buch Daniel und das erste Buch Mose. Die Frage war: Was ist der Sinn der Weltgeschichte und des menschlichen Lebens? Es folgte die Besprechung der Offenbarung des Johannes. Das waren Bücher der Bibel, welche die Bekennende Kirche in den vergangenen 15 Jahren stark beschäftigt hatten.
Auch kamen in den Jahren 1949/50 viele Gäste aus der Bekennenden Kirche nach Oxford, Martin Niemöller, Bischof Lilje und viele andere kamen, zum Teil von den englischen Kirchen eingeladen, die ihnen auch zu den permits und dem Reisegeld verhalfen. Manchnal kamen sie auch als Gäste zu lutherischen oder ökumenischen Tagungen, bis­weilen auch schlicht zur Erholung. So konnte die Oxforder Gemeinde an manchen besonderen Gottesdiensten teilnehmen.

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