Freitag, 14. Oktober 2011

Schwierige Ablösung

Am 1. Juli 1962 ging Pastor Kurtz in den Ruhestand. Die Verwesung der Pfarr­stelle übernahm Senior Hafermann. Im Oktober bewarb sich Herr Pastor Günter Reim aus Söcking bei Starnberg/Bayern um die Pfarrstelle der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Oxford. Am 11. November hielt er seine Probepredigt in St. Mary's und wurde in der anschliessenden Gemeindeversammlung einstimmig von den Gemeindegliedern Oxfords und Birminghams gewählt.
Herr Pastor Reim war, wie man in Deutschland zu sagen pflegt, ein 'Beutebayer', d.h.er stammte aus dem Osten, aus Schlesien. Zum ersten Mal kam Günther Reim nach Bayern mit seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern. Sie waren auf der Flucht nach Schlesien durch die Tschechoslowakei. In Bayern teilte man ihnen mit, dass Breslau von den Deutschen zurückerobert sei: Sie sollten nur dorthin zurückkehren. Erst in Leipzig bemerkten sie, dass diese Auskunft Schwindel war. Die Familie Reim blieb dort, nachdem der Vater aus dem Krieg zurückgekehrt war. Pastor Reim sprach von der Zeit der Flucht ohne Bitterkeit. Er sagte, es habe überall hilfsbereite Menschen gegeben. Auch in der Tschechoslowakei, in der man es damals kaum erwarten konnte, fanden sich freundliche Bäuerinnen, die sie mit Milch versorgten und im Stroh schlafen liessen.
Leipzig hatte für Günther Reim den Vorteil, dass er mit seiner schönen Stimme und seiner hohen Musikalität im Thomaschor mitsingen konnte. Später studierte er dort Theologie und gehörte zu der Gruppe, die mit dem Studentenpfarrer Schmutzler 1959 (oder 1958) in die umliegenden Dörfer ging, um mit den Arbeitern dort über Kommunismus und Christentum zu diskutieren. Es kam zu einem grossen Prozess, in dem Pastor Schmutzler zu 5 Jahren Gefängnis und 15 der Studenten zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Die letzten fünf, darunter auch Pastor Reim, wurden nach Hause geschickt, aber gleichfalls von der Universität verwiesen. Pastor Reim ent­wich über Berlin nach Erlangen, wo er fertig studierte und in die Bayrische Landes­kirche aufgenommen wurde.
Pastor Reim kam im Dezember 1962 mit seiner Frau, einer früheren Lehrerin aus Ansbach, und der fast einjährigen Tochter Susanne. Dieser folgte schon im Juni des folgenden Jahres das Töchterchen Sabine.
Der Anfang in Oxford war nicht leicht. Die Renovierung in 24 Hamilton Road konnte erst durchgeführt werden, nachdem Reims eingezogen waren. Die Ankunft der Möbel aus Söcking zog sich hin, und als sie ankamen, waren sie weitgehend beschädigt.
Zu den äusseren Schwierigkeiten kam die oft nicht einfache Arbeit, die in der Gemeinde noch vorhandenen Spannungen zu überwinden. Herr und Frau Reim haben mit viel Geduld und Freundlichkeit die einzelnen Gemeindeglieder besucht und sie in kleineren oder grösseren Gruppen ins Pfarrhaus eingeladen. Das erste grössere Unternehmen der gesamten Gemeinde war die Vorbereitung des Bazars im November 1963, der sehr erfolgreich war. Der Erlös wurde Oxfam zur Verfügung gestellt zur Über­weisung an den Sekretär der Flüchtlingshilfe in Hongkong, Pastor Stumpf.
Es erwies sich bei solchen Gelegenheiten immer wieder, dass die Räume in 24 Hamilton Road zu eng waren. So machte sich die Gemeinde 1964 auf Haussuche. Zuerst schienen nur 'Ladenhüter' aufzutauchen. Dann wurde Anfang Juli ganz unerwartet 15 Lathbury Road angeboten: Ein Käufer war im letzten Moment zurückgetreten, als der Kaufvertrag schon aufgesetzt war, da seine Frau nicht in die Stadt ziehen wollte. Dieses Angebot kam während der jährlichen Lutheran Theological Conference, die ge­rade im Mansfield College abgehalten wurde und bei der die Mitglieder des Geistlichen Rates und des Lutheran Council of Great Britain zugegen waren, die auf der Stelle das Haus besichtigen und den Kauf gutheissen konnten. Für die Bezahlung stellte die Synode sofort einen grösseren Betrag aus den ihr vom Kirchlichen Aussenamt über-wiesenen Geldern zur Verfügung, ebenso der Lutheran Council of Great Britain.
Dieser gab das Geld teilweise als Beihilfe, teilweise als Darlehen aus dem 'revolving fund'. Der Rest der Kaufsumme wurde aus dem Erlös von 24 Hamilton Road gedeckt, das die Gemeinde seit 1951 als Geschenk des Lutheran Council's besass. Das Darlehen an den Lutheran Council wurde in den nächsten Jahren mit den Geldern des Kirchlichen Aussenamtes zurückgezahlt.
Pastor Reims Amtsantritt 1962 hatte eine gewissen Umorganisation nötig gemacht. Die im Oktober gegründete Predigtstation Windsor wurde nun von Oxford aus versehen, die Gemeine Coventry dagegen zum 1.1.1963 an Leicester angeschlossen. Der Gehalts­anteil des Oxforder Pfarrers aus dem Kaiser Wilhelm Fond wurde nicht mehr direkt nach Oxford, sondern an die Synode überwiesen, um die Versteuerung zu vereinfachen.
Zum 1.1.1963 bekam die Gemeinde das in der Evangelischen Kirche in Deutschland eingeführte neue Gesangbuch, das gegenüber dem alten, ziemlich dürftigen Auslands­gesangbuch eine grosse Verbesserung war, sowohl was die Liedertexte, als auch, was die Melodien betraf. Mr. Webster, der seit 1939 in den deutschen evangelischen Gottesdiensten die Orgel gespielt hatte, erklärte sich bereit, das auch weiterhin zu tun, als er den Organistendienst in St. Mary's aufgab. Sicher war einer seiner Gründe dafür, dass er deutsche Choralmelodien und überhaupt deutsche Kirchenmusik hoch einschätzte. Ebenso wurde 1963 in Oxford die Liturgie der Evangelisch-Lutherischen Synode im Vereinigten Königreich vom Jahre 1962 eingeführt, die sich im allgemeinen mit der von Pastor Kramm zusammengestellten Liturgie deckte. Bei der Gemeindewahl vom 18.6.1963 wurden vier Kirchenälteste für Oxford gewählt, zwei für Aylsbury und einer für Windsor. Pastor Reim hoffte auf zwei bis viermalige Sitzungen im Jahr, damit die Gemeinden besser zusammenwüchsen, aber auch diesmal erwiesen sich, wie schon früher, die ziemlich weiten Entfernungen als hinderlich. Dagegen waren gelegentliche Besuche der mit Oxford zusammengeschlossenen Gemeinden, einschliesslich Birmingham, aber auch anderer Gemeinden zu Gottesdiensten, Socials, evt. auch Stadt­besichtigungen, nützlich und erfreulich.
Der ausgedehnten Gemeinde entsprechend wurde ein Duplicator für die Vervielfältigung der Gemeindebriefe erworben. Zum Schatzmeister wurde nach Fräulein Wulfs Rücktritt Fräulein I. Steinitz, später Miss M. Bradfield, gewählt. Frau Elisabeth Liepmann vertrat Oxford von 1963 bis Februar 1970 als ordentliche Synodale und wurde in dieser Zeit von der Synodalversammlung als eine der Delegierten zu der Annual Lutheran Conference ernannt, die jährlich im Oktober in Konferenz- und Freizeit­zentrum Hothorpe Hall stattfand. In dieser Konferenz trafen sich Delegierte der deutschsprachigen Synode mit denen von den estnischen, lettischen und ungarischen lutherischen Synoden, ebenso von der United Lutheran Synod englischer Sprache.

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