Freitag, 14. Oktober 2011

Zeit der Internierung

Auch in anderer Hinsicht war die Anfangszeit in England für die ersten Gemeindeglieder nicht einfach. Den deutschen Flüchtlingen wurde gerade bei Kriegsbeginn oft mit Misstrauen begegnet, und im Frühjahr 1940 wurden alle männlichen enemy-aliens zwischen 16 und 65 Jahren interniert. Pastor Kramm hatte plötzlich in den Internierungslagern eine neue Gemeinde, mit der er Gottesdienste hielt, die Bibel auslegte und der er Vorträge hielt.
Fräulein I. Steinitz war eine der wenigen Frauen, die interniert waren. Als Tochter eines Berliner Juristen hatte sie Deutschland verlassen müssen und wohnte nun in der Umgebung Oxfords, wo sie bei einem Pastor Jackson als Küchenhilfe ar­beiten konnte. Hier hatte sie Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung, denn die Küchenarbeit war für sie noch sehr ungewohnt und neu. Vorher hatte sie immer im Büro gearbeitet.
Über den Vorfall, der zu ihrer Internierung führte, und der Zeit auf der Isle of Man gibt I. Steinitz folgende Schilderung:
Nach einiger Zeit kam eine Freundin in dieselbe Gegend, ich war natürlich sehr glücklich darüber, denn zu zweit war alles viel einfacher. Wir besuchten eine Bekannte von ihr, eine Amerikanerin in London an unserem freien Tag. Sie wohnte am Bahnhof Victoria. Wir hatten Tee, und sie begann voller Mitleid mit uns beiden: "Ach wie schrecklich, Sie mussten nun nach England, wie gefällt es Ihnen denn?" Ich sagte: "Ich muss immer kochen, ich bin das nicht ge­wohnt, ich bin noch nicht sehr gut im Haushalt, sehr schön ist es nicht." Sie fragte mich: "Haben Sie noch Verwandte in Deutschland?" Ich sagte: "Ja, ein Bruder lebt noch in Berlin." Der Krieg war noch nicht ausgebrochen, aber es war schon verboten zu schreiben. Sie sagte darauf: "Ich werde demnächst zurückfahren nach Amerika, aber ich fahre über Deutschland, wenn Sie mir einen kleinen Brief mitgeben wollen an Ihren Bruder, dann werde ich den in Deutschland einstecken. Das ist doch für Sie ganz beruhigend." Ich schrieb einen ganz kleinen Brief, in dem nur stand: "Also, es geht mir gut, alles in Ordnung, ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, Euch zu schreiben."
Damit war die ganze Angelegenheit für mich vergessen, bis ich dann eines Tages plötzlich interniert wurde. Ich war die einzige der Frauen, die interniert wurde. Es wurde mir ein Jahr lang nicht gesagt, was der Grund dafür war. Dann wurde ich gefragt, ob ich mich noch daran erinnere, dass ich jemandem einen Brief mitgegeben habe. Da erst ging mir ein Licht auf. Ich wurde dann gefragt, ob ich die Zensur umgehen wollte, und ich sagte, dass ich einen Fehler gemacht habe. Es hat mich eine lange Zeit in der Internierung gekostet, bis alles nach­geprüft wurde.
Ich war auf der Isle of Man. Hier waren britische Faschisten gemeinsam mit politischen Gefangenen und deutschen Juden eingesperrt. Meine Tante war aus Versehen auch eingeliefert worden. Das Gefängnis war fürchterlich. Als der Krieg näher kam, wurde uns verboten, Zeitungen zu lesen oder Radio zu hören. Man wurde allmählich hysterisch, Gerüchte wurden verbreitet.
Dass die Mehrzahl der Internierten nach sechs bis zwölf Monaten, als sich keine Invasion der Nazis ereignete, wieder entlassen wurden, ist weitgehend dem Bischof Bell von Chichester, den Quäkern und anderen humanitär gesinnten Kreisen zu verdanken. Einmal mehr intervenierte Bischof Bell im House of Lords:
Who are the men - I would confine myself to the men - who have been interned in these alien internment camps since May? Some are Nazis, real enemy aliens - not very many. Some are men whose attitude to this country is doubtful - not a great number. Others are men whose friendship for this country is certain. Of these, some have settled many years in this country and have well-established ties of hearth and home, but a great many came into this country from Germany and Austria as refugees who not only love England and are grateful for the shelter und hospitality which England has given but loathe the present Nazi regime which made life unbearable for them ....(Hansard, The Parlamentary Debates, Fifth Series, Vol. CXVIII, House of Lords, Official Report Third Volume of Session 1939-1940, London 1940)
Vor Weihnachten 1940 wurde Fräulein I. Steinitz aus der Internierung entlassen, und auch Pastor H.W. Kramm kehrte zu seiner Gemeinde zurück.

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