Freitag, 14. Oktober 2011

Gemeindeleben und Zusammensetzung der Gemeinde

Insgesamt war die Gemeinde - wie man es in Oxford erwarten wird - weitgehend aus Intellektuellen zusammengesetzt. In ihr fand sich z.B. eine Musiklehrerin von Zuccari aus Wien, ein Architekt Ahrens, der Jurist Professor Leipholz, dessen Frau Sabine Leipholz-Bonhoeffer - die Zwillingsschwester Dietrich Bonhoeffers - das Leben der Gemeinde in ihrem Buch "vergangen, erlebt, überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer" (5) geschildert hat. Leo Liepmann war ein Professor im geisteswissen­schaftlichen Bereich, Elisabeth Liepmann wurde zu einer der tragenden Säulen der jungen Gemeinde. Sie war es, die Neuankömmlinge: zum Kaffee einlud und dadurch die Integrierung erleichterte. Auch trug sie durch die in ihrer Wohnung stattfindenden Bibelstunden und durch zahlreiche Besuche zum Zusammenhalt der Gemeinde ganz wesent­lich bei. Da sie meist einen Korb bei sich hatte, aus dem sie häufig Geschenke hervorholte, ging sie als "Heilige Elisabeth" in die Gemeindegeschichte ein.
Sehr wichtig war auch Fräulein Else Joseph, die gleichfalls kontinuierlich im Ältestenrat der Gemeinde vertreten war. Neben ihrer organisatorischen Tätigkeit machte sie sich auch sehr um das 'Social' verdient, - die im Anschluss an den Gottesdienst und andere Veranstaltungen stattfindenden Treffen bei Kaffee (bzw. Tee) und Kuchen. Sehr verdient um die Gemeinde machten sich in dieser Zeit - neben anderen - auch Frau E. Reynolds, Fräulein I. Steinitz und Herr und Frau Trent.
Unbedingt zu erwähnen unter den ersten Gemeindegliedern sind auch die nichtjüdischen, sehr treuen Hausangestellten, die mit ihren jüdischen Familien Deutschland verliessen. So kam Anna Menzel mit der Musikverleger-Familie Bringsheim, und Fräulein Hubert mit der Apotheker-Familie Hammerschmidt.
Das Gemeindeleben war gerade in der Kriegszeit reich an besonderen Ereignissen. Da war zunächst die Weihnachtsfeier, zu der die Familie Dr. Moore der Gemeinde am 4. Advent ihr Erdgeschoss überlassen hatte. Zuvor hatten sie die Erlaubnis bei der Polizei einholen müssen, die für eine Zusammenkunft bei mehr als zwanzig enemy-aliens nötig war. 80 - 100 Personen drängten sich bei Kaffee und Gebäck bis in den Flurhinein und die Treppe hinauf. Zum Singen beim Christbaum kamen die Moores von ihren Freunden zurück.
Sehr willkommen waren in der Gemeinde stets die Besuche von P. Hildebrandt, Cambridge, P. Rieger von St. Georg und P. Büsing von der Christusgemeinde, London, zu Predigten und Vorträgen. Sehr eindrücklich brachte die damals herrschende Stimmung Pastor Hildebrandt zum Ausdruck, vor allem in seiner kleinen Schrift "Paul Gerhardts Lieder, eine Theologie für Refugees, die ihr Refugium suchen." Pastor Rieger, der schon am längsten im Lande war, besass einen unerschöpflichen Vorrat an Kenntnissen der Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Gemeinden seit 1669 und des alten London. Pastor Büsing wurde als einziger deutscher Pfarrer nie interniert, da er im Bloomsbury House in der kirchlichen Zentrale für die Refugee-Arbeit mitarbeitete und daher unabkömmlich war. Er übernahm mehrmals den Qxforder Gottesdienst während Pastor Kramms Internierung. Wenn er nicht konnte, predigte entweder Dr. Marsh oder der damalige Chaplain von Exeter College, die beide in Marburg studiert hatten. Gelegentlich predigte später auch der Theologiestudent Pierre Fraenkel, wobei Kramm es sich freilich vorbehielt, die Predigtentwürfe vorher durchzulesen, zu korrigieren und dann zu unterzeichnen.

Aus NS-Deutschland emigrierte Gemeindemitglieder
(Dieser Abschnitt beruht auf einer Mitschrift von Walter Böhme anlässlich eines Gemeindeabends der deutsche Gemeinde. Zum Teil wurde sie aufgrund von Kurzinterviews ergänzt.)

Frau Elisabet Reynolds:

Elisabet Reynolds, geborene Neumann, wurde als erste von zwei Töchtern des Psychiaters Max Neumann und seiner Frau Henny-Dora 1903 in Karlsruhe geboren. Als sie 1939 nach England kam, arbeitete sie – wie so viele – zunächst als Haushaltshilfe. Sie arbeitete in Somerset, dann in der Nähe von Exeter, Devon. Als im Zuge der Sorge vor einer deutschen Invasion alle Deutschen die Grenzprovinzen verlassen mussten, ging sie zunächst nach London und kam dann 1940 nach Oxford. Die erste Predigt, die sie in St. Mary's hörte, war von Franz Hildebrand ("sehr eindrucksvoll!"). Mit 40 Jahren begann sie die Ausbildung zur Krankenschwester der Psychatrie.

1940 waren ihre Eltern nach Frankreich ins 'Camp de Gurs' deportiert worden. Wenige Tage vor dem vorgesehenen Transport nach Osten in ein Vernichtungslager wurden sie im Zuge der Invasion von den Amerikanern befreit. Zunächst konnten sie nicht aus Frankreich ausreisen und lebten dort in einem kleinen Zimmer, wo Max Neumann sein Werk über "Die Angst" schrieb. 1946 konnten sie dann nach Oxford Headington zu ihrer Tochter Elisabeth übersiedeln. Sie starben 1950.

1957 heiratete Elisabeth Neumann Mr. David Reynolds, der 1963 starb; doch hörte sie während der Ehe nicht auf, als Schwester am Warneford Hospital in Headington zu arbeiten.

 Ihre Schwester Hildegard konnte mit ihrem Mann nach Schweden emigrieren. Durch die Familienfreundschaft mit der Mutter von Gerhard Leipolds ernte Elisabet Neumann schon in Deutschland Sabine und Dietrich Bonhoeffer kennen. Im Exil traf sie die Leipoldzens in Oxford wieder.


Frau Schoenfeld:

1939 besorgte ihr eine Cousine ein residents permit, so dass sie als Haushaltshilfe in England arbeiten konnte. Mit zehn DM kam sie nach England, musste in der Küche essen. Ihre Familie zog um in die Nähe von Oxford. Ein englischer Pfarrer, der in Deutschland studiert hatte, vermittelte ihr die Bekanntschaft mit ihrem Namensvetter Schoenfeld, der aus Wien geflohen war. Dieser war als Antiquar bei Blackwell angestellt. – Heute bekommt sie eine größere Rente aus Österreich.


Fräulein Steinitz:

Anzeige in der 'Times'. Pastor in Little Tew, Papiere bis 1935 zusammengeholt.

Pastor Jackson hat sie auch mitgenommen zum Cricket-Match, sie sollte für den Pfarrer Aufsätze schreiben, die er für sie korrigierte. – Polizist kam mit dem Rad zu ihr gefahren.

Denunziation: Ihre Freundin kam auch zu ihr. Gemeinsamer Besuch nach London bei einer geborenen Amerikanerin. ie bot ihr an, einen Brief an ihrem Bruder in Deutschland mitzunehmen. Fräulein Steinitz als einzige Frau in Oxford in Internierung, erst nach einem Jahr erfuhr sie den Grund. Die Frau hatte den Brief Scotland Yard gegeben. Sie wurde nach Holloway gebracht mit britischen Faschisten zusammengesteckt. Es gab keine Zeitung, kein Radio.

Bei ihrer Internierung auf der Isle of Man hatte die gelernte Sekretärin Fräulein Steinitz als Arbeit, die Schweine zu hüten.

Das Amadeus-Quartett hat sich auf der Isle of Man zusammengefunden.

Ein Sohn aus der Familie, erster Osteopath in Oxford übernahm sie hier.Das Amadeus – Quartett hat sich auf der Isle ofmen zusammen gefunden.

Mein Sohn aus der Familie, ein Sohn aus der Familie war erster Osteopath in Oxford er übernahm sie. An einem freien Sonntagnachmittag ging sie zu einem Quäker Meeting und war erstaunt, dass alle schwiegen. Danach gab es Tee für alle Haushaltshilfen, die dorthin gekommen waren.

St. Mary's in der Highstreet lernte sie kennen, weil die Kirche hell erleuchtet war, weil die Orgel brannte. Frau Liepmann kam auf sie zu und schrieb sich ihre Adresse auf. Sie sagte: "Ich muss Sie einladen." Das erste Weihnachtsfest in der Gemeinde erlebte sie im Haus von Pastor Kramm.


Fräulein Else Josef:

Von den Juden wurde sie zu den Christie geschickt. Durch Zufall fand sie eine Quäkerin. Ihr Leben lang hat sie als Haushaltshilfe gearbeitet, kam aus dem Oderbruch.  Aus der Bundesrepublik bekam sie eine Rente von zehn Pfund pro Woche. Fräulein Josef: "Viele arme Deutschen haben so viel geholfen."


Frau Kurz:

Jede Nacht hat sie woanders geschlafen und der Familie nicht gesagt wo.

Des öfteren begleiteten nicht-jüdische Hausangestellte, die jüdischen Familien in die Emigration . Auch diese kamen in die deutsche Gemeinde.


Versammlungen von den Kriegsgefangenen gab es bei Friedhöfen in Farnborough und Birmingham.


Hans-Werner Calé:

Hans-Werner Calé wurde 1913 in Berlin geboren. Er besuchte das Gymnasium und machte 1934 das Abitur. Er wurde Mitglied der bekennenden Kirche bei Pfarrer Jakobi in Dahlem. Chancen für eine Ausbildung in einem akademischen Beruf gab es für ihn keine. So arbeitete er in einer Kunsthandlung. 1938 wurde er verhaftet und ins KZ Sachsenhausen bei Oranienburg gebracht. Da er erklärte, er wolle auswandern, wurde er zwei Tage vor Weihnachten entlassen. Ein Geschäftsfreund aus London hatte ihm die Garantie besorgen können, dass seine Einwanderung erlaubt werde.

Im Februar 1939 wurde er von der Society of Friends (den Quäkern) aufgenommen und auf einem Gut in Devonshire in der Nähe von Plymouth beschäftigt. Dann wurde er an ein Franziskanerkloster der Church of England vermittelt und im Winter 1939 (im Krieg) nach Cambridge geschickt, wo er nur Hausarbeit verrichtete, weil er keine offizielle Arbeit annehmen durfte. In Cambridge hat er Pastor Franz Hildebrand kennengelernt und einige Predigten von ihm im Manuskript erhalten. – Im Mai 1940 wurde er interniert: zunächst in der Nähe von Liverpool, dann auf der Isle of Man, im Sommer dann sechs Monate in Québec in Kanada. Dabei hatte er noch besonderes Glück, denn das erste Schiff, das Internierte nach Kanada brachte, wurde torpediert und sank. Das Schiff, mit dem er fuhr, wurde deshalb unter militärischen Geleitschutz nach Kanada gebracht. Im Winter gab es in Kanada keine zureichenden Unterbringungsmöglichkeiten, weshalb er wieder zur Isle of Man zurückgebracht wurde. Dann meldete er sich zur Arbeit in der Landwirtschaft. Von Mai 1944-1945 hat er dann in der Nähe von Didcot in der Landwirtschaft gearbeitet. Seit 1941 besuchte er die Gottesdienste der deutschen Gemeinde in Oxford. Von 1945-1947 arbeitete er im Gartenanlagen in Oxford. Danach wurde er im Parker's Bookshop als Buchhändler für die ausländische Abteilung angelernt. Dort hat er wohl bis 1975 gearbeitet, ist dann in die englische Abteilung gewechselt und 1978 in Rente gegangen.

Etwa 1980 erlitt er einen schweren Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte. Trotz einiger Erfolge bei der Rehabilitation, die zu großen Teilen von Freunden der Gemeinde finanziert wurde, blieb er bis zu seinem Tode an den Rollstuhl gefesselt. Gottesdiensten, bei denen er nicht anwesend sein konnte, fehlte etwas, nicht nur seine kräftige Stimme im Kirchengesang. – Er starb im Sommer 1987.


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